Hören. Lesen. Schreiben. 9. Düsterer Nachmittag, 1996
Stadtteilbibliothek in Berlin-Friedrichshain, wo ich die DDR-Literatur kreuz und quergelesen habe, von Helga Schütz über Thomas Brasch (…) zu Franz Fühmann. Der Bibliothekar, noch düsterer: „Diese Bücherei hört auf zu bestehen. Wird umgebaut. Nu ratense mal, was draus wird?“
„Supermarkt?“ / „Nee.“ / „Kita?“ /
„Ganzganz verkehrt. Da soll ’ne Bank her!“
Ganz umgekehrt: Bücher hinter Klostermauern. Die dürfen zwar bleiben, aber: Wer liest sie? Wer kann die Schriftzeichen alter Sprachen und der Vorfahren unserer Sprache dechiffrieren? Will man das können müssen?
Ich duck mich weg und konstruiere mir lieber meine BiblioTheke mit ausgewählter Literatur je nach Tageszeit und speziellen Getränken + Imbiss, passend zum Lesestoff. Und Ruhe, bitte.
Und, schön, dass es sie gibt, die nützlichen, die Uni-Bibliotheken, die Kinderbibliotheken, die eifrigen mit Vorträgen und Fortbildung-am-Abend und auch mit LeseNacht in der Nacht, und die abweisenden mit Vorwarnung: Wir schließen in fünfzehn Minuten…, Achtung, in wenigen Minuten…(ist hier alles dicht, weil endlich Feierabend!)
Kinderzimmerbibliotheken finde ich süß: Geordnet nach blauen, roten, gelben Bücherrücken, oder: Oben die Pferdebücher, darunter die Katz- und Hundebücher und ganz tief unten alles andere. Und da war auch noch vor langer Zeit ein junger Verwandter, mit seinem Bekenntnis voll Charme: Ich lese nicht.
Muss man lesen?
Nur, weil Schriftsteller glauben, schreiben zu müssen?
Muss mensch ins Museum, nur weil Maler malen wollen, und ins Konzert, damit Musiker gehört werden?
Alle sollen dürfen, was sie wollen in der Kunst. Doch, von Herzen und mit Inbrunst, mit diesem komischen Wort für Volldampf. Wie reich und lebenswert wäre eine Gesellschaft mit einem großzügigen Vorrat an Zeit, mit einer Schatzkammer als Raum: Zum Gestalten = Machen.
Tu’s einfach!
Ein Gedicht schreiben, nur so. Eigene Bilder an die Wand, und die Wand aus eigener Hand, und Hausmusik im Zelt, und jeder bestickt seine Mokassins mit selbst erfundenen Ornamenten, während Hirtenknaben und auch -mädchen, auf grünen Hügeln sitzend, Flötenmelodien komponieren, während ein Schaf aus der Herde fort—
Empfehlung: Nur Stämme werden überleben von Vine Deborah. Göttingen, 1996