Ruhige Tage

Draht zur Weltgeschichte beinah durchtrennt.
Ich denke klein und schäme mich nicht dafür. In diesen Tagen, vor allem an den Abenden sorge ich für unscheinbares Wohl zwischen Bäumen und alten Brettern und den Verstecken im Haus.
Genug Futter eingelagert. Auch die Maus wird gefüttert, sonst tot. Insekten, die aus dem Brennholz krabbeln, sollen weiterleben und in Fußbodenritzen verschwinden. Das Heu im Schuppen wird zum Bett, wenn eine fremde Katze bei Regenwetter auf Besuch kommt. Einer Amsel, die im Fensterkasten schlief, hab ich gesagt: Kein Grund zur Aufregung. Schlaf weiter.
Abtauchen. Lesen. Hören. Schreiben.
Bei Kerzenschein? – Ein Selbstbetrug zu viel.
Ein Ruck, von innen. Ein Blick hinaus:
Wo die starken, gütigen Persönlichkeiten über sich selbst hinauswachsen und sich sozial verausgaben bis zur Erschöpfung. Sie bringen Wärme und sicher auch Nahrung in die Welt, auch wenn sie nur einen Häuserblock umspannt.
Ich kann das nicht. So tüchtig organisieren, kommunizieren und auf täglichen Kaffee-zur-exakt-optimalen-Tageszeit verzichten,
während ich darauf verzichte, ihnen nachzueifern. Stattdessen lobe und preise ich sie. Gesund sollen sie bleiben an Körper und Geist!
Sonst bricht alles zusammen.

Verwandtes Land

Spätherbst war es, die Ostsee führte sich auf wie ein wildes Tier, verpasste mir Sprühregen an die Wangen, hüllte mich ein in den Duft von Tang, und ich hatte keinen Wunsch, außer die Weite dort vorn, das Ende des Spaziergangs niemals zu erreichen.
Dann trieb mich die Dämmerung doch zurück, am Steg vorbei, finsteren Weidenköpfen entlang, durch Sand, Sand – da, vor mir so ein Gekicher: Viel zu dünn gekleidete Kinder übten Handstand.
Ein seltsames Land, das ich liebte vom Augenblick an, da mein Fuß den Bahnsteig berührte. Tage, nachdem eine Berliner Laune mir eingeflüstert hatte: Fahr einfach mal nach Polen.
Ich weiß nicht mehr, was Bahnhof auf Polnisch heißt. Wieviel eine Tasse Kaffee kostete, und wie ich Busfahrpläne deuten konnte, von Sprachverwirrung belämmert.
Das aber ist gewiss: Ein Schritt auf Polens Boden, schon weihevolle Stimmung. Und wie ich dem Zug hinterherwinkte im Geist, wie dieser Geist mir zuflüsterte: Fahr weiter, nimm den nächsten Zug und fahr nach Königsberg. Dort bist du zuhause…
Ich versprach es dem Geist und ging, Danzig zu entdecken. Die Altstadt, die Ufer der Mottlau, Boote –
das Sightseeing opferte ich dem Arbeitseifer meiner fünf Sinne. Übergroß und aufgebläht nahmen sie alles, alles auf und servierten es mir mit dem stolzen Kärtchen: Es ist deins.
Der Himmel, Minuten vor Einbruch der Nacht, war der tiefdunkelblaueste meines Lebens. – Die Suche nach einer Unterkunft versetzte mich in selig-gruselnde Abenteuerlust. Womöglich im Freien? – Kein Glamour. Wozu? Die mögliche Realität sehr hoher Wellen machten Überflüssiges zum vielleicht-Davongeflossenem? – Zehn, zwanzig Katzen am Kanal, ich hätte sie so gerne eingepackt und mitgenommen. – Die Menschen? Wie schätzte ich ihre kühle Höflichkeit, die kein Verbiegen und freundlich-Tun kannte. Ja hieß ja, und nein hieß nein. Die Suppe und das seltsame Stück Fleisch mit Garnitur kosten beschämend wenig? Trinkgeld oke, muss man nicht danke sagen in Überschwang. So ist es recht.
Splitter: Marienburg mit Burg, ich hatte Hunger, Hunger, Hunger, freute mich, am Ende der langen Straße einen Kiosk in lockendem Licht zu sehen, und rannte und – fand mich vor einer Notfallambulanz.
Zopot, bedrängt von Reisbussen, von Tausenden (?) Eindringlingen. Obwohl Zopot mir gehört, seit 26 Jahren.
Bernstein mitbringen. Nicht für mich. Polens Ostseeküste hat einen kostbaren, vielfarbig glänzenden Stein im Brett, bei mir.
Dann aber. Hatte ich am dritten Tag auf dem Rückweg in die Pension das Gefühl, ausgetretene Pfade zu gehen. Der Anfang von Gewöhnung . Ein Erschrecken.
Heimreise.
In Königsberg war ich noch immer nicht. Warum auch. Was hab ich dort verloren?

 

 

Federn und Freunde

Die Hühner meiner Großmutter, die in den Bäumen schliefen
Amsel im Nussbaum, früh am Morgen
2 Wellensittiche, früh verstorben – ich ahnungslos mit 8

Pechvogel. Blindes Huhn.
Jahre und Jahre mit Vogel-Strauß-Verhalten beim Verzehr von Hühnerschnitzeln

Wassergeflügel auf Teichen und Seen: „Füttern verboten“. Aber wie überleben sie den Winter?
Die Waldohreule mit ihrem melancholischen Ruf: Ist es in jedem Vorfrühling die selbe?
Die Amsel am Wegrand, aufgelesen. Wollte kein Futter. Ist am Usutu-Virus gestorben.
Zugvogelschwärme, zuversichtlich, die Reise zu schaffen. So viel Ausdauer, so viel Teamgeist. Sind auch meine guten Wünsche angekommen?
Der Habicht, der zehn Meter vor mir auf dem Radweg gelandet ist, sich umgedreht hat mit einem Blick aus Selbstbewusstsein und „mit dir will ich eh nichts zu tun haben“.
Und Kuckuck, Goldammer und Sperber, die sich bei einer Vogelwanderung beobachten ließen.
Und die Frau J. im Wildvogelforum, die vom Päppeln und Auswildern berichtete: Die Kleinen, nicht mal 20 Gramm. So perfekt. So gefährdet.
Die klugen Kleinen, die schon warten, bis die drei Futterhäuser gefüllt sind.
Vögel, bitte viele!, die mir in Zukunft begegnen werden.
Ihnen gehört der Himmel. Wenn dort alles weggeräumt wird, was stört und zerstört, beginnt ein glücklicher Tag.
Und alle meine Enten, aber den Himmel sehen sie nur von unten. Flügel stutzen zum Schutz…seit damals, als Emma weggeflogen ist.

Abschied

schon am zwölften Oktober, ohne dass es mir bewusst war: das letzte mal. Darauf folgen sechs unendlich lange Monate ohne Schwimmen über Kies und winzige Wirbel,
ein unwirtliches halbes Jahr ohne die Reinheit, die Kühle zu genießen, ohne Schwerelosigkeit.
Wäre es möglich, einfach aufzusteigen, sich selbst nicht mehr zur Last! Wolke werden. Fliegen, als Fuzzelchen von Bewusstsein…

Doch, schwerelos = nicht sorglos.
Einmal träumte ich vom Fliegen und übermächtiger Angst vor der Landung. Da war auf einmal was Weißgekleidetes an meiner rechten Seite, es hielt die Tragflächen dieses sehr unzulänglichen Flugzeugs und geleitete es sachte zur Erde zurück.
So soll es sein. Nach jedem Ausflug Richtung Himmel eine freundliche Hand. Alles würde gut.
(Nach jedem Ausflug ins Wasser ein Handtuch. Das genügt.)

Ungewöhnliche Musik

Zeh-Dur  –  Oparette  –  Choraal
Kompostition  –  Zierharmonika  –  Violinschüssel
Singer-Songreiter  –  KlaraNette  – Zitter
Primadonner  –  Klavierauszuck  –  Magnifikatz
Tenohr –  Rezitatief  –  Sumpfonie
Vokaliese  –  Orkanist  –  Schlussdekadenz  –  Blassinstrumente
Harmonieleere –  Korrupetitor – Ouvertüre