Hören. Lesen. Schreiben 16. Der berüchtigte erste Satz

kann doch wirklich nicht erschrecken. Und geht ganz einfach:

  1. o) Stimmiges Exposé erstellen,
    o) formale Fragen klären,
    o) und los!

Natürlich kann es sein, dass unterwegs, auf Seite ~ 97, die Heldin Anne auf unvorhersehbare Weise arbeitslos wird und sich an die zugeschüttete Leidenschaft für Stoffdesign erinnert. Dann kann man die ersten Absätze ändern, und aus dem berüchtigten ersten Satz wird ein viel wahrhaftigerer zweiter erster Satz. Und weiter, mit Schwung!

Wenn nun Annes Lebensgefährte anfängt, sich seltsam zu benehmen, das gemeinsame Kind im Supermarkt Bier und Käsecrackers klaut und auch in den Hosentaschen des LG nach Brauchbarem sucht und dabei dummerweise einen handschriftlich verfassten Erpresserbrief findet, der sich auf die Vergangenheit das LG bezieht, die sich im Schottischen Hochland, zwischen Schafen, Schäfern, illegalen Whiskeybrennern und korrupter Polizei abgespielt hat, wackelt natürlich auch der zweite Beginn, denn man ja locker durch einen neuen ersetzen kann: Die Rückblende auf das Vorleben des LG, die einen genialen, stimmigen, dritten ersten Satz erfordert:

o) Es war in einer dunklen, stürmischen Nacht…
o) Es begab sich in einer stürmischen, dunkeln Nacht…
o) Dunkel war die Nacht und stürmisch… aber das klingt doch sehr lyrisch und lässt Erlkönig.02 am Horizont erscheinen, führt also auf eine völlig falsche Fährte,
macht nichts, weil, ein vierter erster Satz wird sich wohl finden, irgendwo zwischen Käsepapier vorm PC und Lossiemouth, das idyllisch an Schottlands rauer Küste gelegen ist,…

Hören. Lesen. Schreiben 15. Ein Fünfminutengedicht schreiben,

einfach aus dem Ärmel schütteln, der ungebremsten, spontanen Eingebung nachgeben, ohne Willkür in Form und Vers und Pooääsiie:
Geht doch?

Geht gar nicht.

Nach Tagen der Mühe: Einen GedichtKeim kann man behandeln wie Germteig: Kneten. Rasten lassen. Nochmal kneten. Paar feine Zutaten hinein. Kosten. Unzufrieden nach Optimierung suchen…Pause. Weitermachen.
Fertig. Vielleicht.

Aber ich schreib das Ergebnis nicht in den Blog.
Warum nicht?
Zu privat.
Ich meine, Leute aus meinem Umfeld lesen das womöglich und entdecken private, intime Gedanken darin.

Würde ich diesem Umfeld ein paar Zeilen Prosa rüberreichen? – „Das hier. Ist von mir. Willst mal lesen?“
Ja. Kein Problem.

Warum ist mein Vertrauen in willkommene, kritische Reaktionen bei einem Gedicht ganz unmöglich?

Weil es die unsichtbare Überüberschrift Kunst im Titel trägt?

Aber, wollten fremde Personen meine Gedichte lesen,
wäre es mir ganz recht. Sollen die sich denken was sie wollen, über meine so privaten Zeilen.

Berlin, 1997:  Ich hab ein paar Gedichte geschrieben und wollte sie „im Bauchladen“ verkaufen. Am Wittenbergplatz, an einem Samstagvormittag im Frühherbst.
10 Pfennige /Stück.
„Mehr“, rieten mir Freunde, „wenn du deinen Oevres keinen Wert beimisst, wie sollen es die Passanten tun? Zehn Pfennige! Die kaufen das, damit du Ruh gibst, überfliegen drei Worte und schmeißen es in den nächsten Hauseingang.
Ich blieb dabei: 10 Pfennige.
Zwei Termine hatte ich mir ausgesucht, und passende Kleidung, und das Anmachen, das ZuRufen, das Heraustreten aus mir, und die wunderbaren Gedichte waren in klarer Schrift ausgedruckt und auf bunten Karton geklebt.
Und dann der Regen. Samstag Regen.
Schöne Woche. Vielviel Sonne.
Am 2. Samstag nochmal Regen.
Und dann hab ich diese Idee begraben und für lange Zeit vergessen.

Schauplatzwechsel, Gedichte für Kinder, vorgelesen vor vielen, vielen Jahren:
Wohnhöhle, gute Stimmung, leere Tassen Tee auf dem Tisch, draußen Dämmerung. Ein Kind und ich, dazwischen ein Buch: „Wenn der Wind ums Gatter geht, hört man’s leise knarren…“  *)
Kind versinkt zwischen Worten und Illustration. Ruhe.

Einige Jahre später, Sofalandschaft, gute Stimmung, zwei Tassen Tee auf dem Tisch. Guten Nachmittag mit wilden Spielen verbracht. Ausgeruht. Und dann, ein Kind und ich, dazwischen ein Buch: „Der Schlafwind wiegt die Vogelnester…“  *)
Kind: „Hör auf, hör auf, ich will das nicht!“

Hmm. Selber schuld. Ich hab das völlig falsch inszeniert.
Oder: Es liegt an den Genen. Oder an der Umwelt.
-> Jedes Wesen ist einzigartig. Eh oke. Passt.

*) Christine Busta: „Die Sternenmühle“
 

Hören. Lesen. Schreiben 14. Buchrezensionen

lese ich manchmal ganz gern. Oft verachte ich sie, oder aber ich weiß: Dieses Buch muss ich haben, jetzt gleich.
Wenn ich Buchrezensionen beachte, dann mit Vorsicht. Zwischen den Zeilen lesen, heißt es, und: kein Vorschussvertrauen niemals.

Absolut abturnende Kritiken:

  1. o) „…dem Autor sind seine Protagonisten wohl selbst nicht sympathisch…“
    Heißt es nicht auch: „In jeder Person der Literatur finden sich Charakterzüge des Autors? -> Er mag sich selbst nicht.
  2. o) „Diese Story hat sich tatsächlich ereignet.“
    .) Das glaube ich nicht.
    .) Wenn, dann lese ich lieber eine Dokumentation zum Thema.
  3. o) „..die Große Stimme Amerikas /Frankreichs / Ozeaniens…“
    Lieber vielen kleinen Stimmen lauschen.
  4. o) „…drei Tote auf den ersten zwanzig Seiten…“
    Ist mir zu negativ. Trifft auf alle Krimis zu.

Kritiken, die mich zur Lektüre des rezensierten Buches motivieren:

  1. o) „…in seiner besonderen Art nicht einzuordnen…“

Und auch die Bücher, vor langer Zeit gelesen, beim Aufräumen voll Freude wiederentdeckt.
Dazu ein bissl Wehmut, wenn ich mich an Schulpausen erinnere, die mit Butterbrot und Büchertausch viel zu schnell vergingen.

Und nun zu etwas nicht ganz Anderem:
Ich durfte (ist schon eine Weile her) ein paar Jahre lang für Save-Tibet im Bereich Rezensionen arbeiten: „Wer übernimmt dieses / jenes Buch?“ Immer wieder las und schrieb ich selbst, war beeindruckt von O-Ton-Berichten der indigenen Bevölkerung oder Reisenden – diesen Reisenden, die auf ihrer Expedition auf den Spuren der fast ausgelöschten Bon (Bön) –Kultur wanderten, die von einem Teil der Bevölkerung Tibets verfolgt und niedergekämpft worden war.
Behauptung des 14. Dalai-Lama (auch das liegt eine Weile zurück), auf die Frage, warum das fromme Volk Tibets von China so grausam unterdrückt wird: ~ Weil es sich zu lange zu sehr von der Außenwelt abgeschottet hat. – Nix von Bon-Bön-Bekämpfung.
Auch das kollektive Karma wirkt. Und fragt nicht nach der Meinung eines Oberhaupts.

Hören. Lesen. Schreiben 13. Kein Spaziergang, keine Wanderung,

ein Vorwärtsdrängen war es, nicht zur Erbauung, bloß zum Dampfablassen, Stress-Abbauen, obwohl, es heißt doch, Wald ist viel zu empfindlich, er möchte diese Vibrations nicht, was mich aber nicht kümmerte, ging es doch um mich,mich, mich. Nur langsam wurde der Zustand besser = ich besserte mich = auf meinem Atem flogen endlich auch positive Feelings ins Freie. Bedächtigere Schritte. Gute Gedanken. Blumen sah ich überall, auch dort, wo grad keine wuchsen.
Bis ich an die Lichtung kam und stille stand. So lieblich. So fichtengrün, föhrengrün, Strauchgrün, grasgrün und grüngrün. Pause. Ruhen. Rundherum so viel Idylle, dass sie wehtat. Nein, das Abschiednehmen tat weh.
In den darauffolgenden Wochen suchte ich noch oft diesen Platz auf. Einfach da sein. Nichts müssen. Allein-Sein dürfen und doch verbunden mit der Welt dort draußen.

Jahre später bekam ich ein Buch geschenkt, das mit seinem Titel  (zu?) viel zu versprechen schien. Ich las, und las es zu Ende in wenigen Tagen, und bald darauf noch einmal.
Die Autorin erzählt von einer Wanderung, die als Wurzel?, Impetus? Motivation jahrelang in ihr schlummerte und eine Abzweigung in ihrem Leben begründete, die zu einer Reise nach Venezuela führte und zu diesem Buch:

Jean Liedloff: „Auf der Suche nach dem verlorenen Glück“
becksche Reihe, 1999

Textauszug:

„…auf einer Wanderung in den Wäldern von Maine, wo ich in einem Sommerzeltlager lebte. Ich war ein wenig zurückgeblieben, als ich durch die Bäume hindurch eine Lichtung erblickte. Eine prächtige Tanne stand an ihrem Außenrand und in der Mitte ein kleiner Erdhügel, bedeckt von glänzendem, fast grünem Moos. Die Strahlen der Nachmittagssonne fielen schräg auf das blauschwarze Grün des Nadelwaldes. Das kleine Dach, das vom Himmel zu sehen war: ein vollkommenes Blau. Das ganze Bild war von einer solchen Vollkommenheit konzentrierter Kraft, dass es mich abrupt stehenbleiben hieß. Ich trat an den Rand der Lichtung und dann, behutsam wie an einem magischen oder heiligen Ort, in ihre Mitte, wo ich mich hinlegte, die Wange gegen das frische Moss gepresst. „Hier ist es“, dachte ich.“

In Venezuela lebte die Jean Liedloff zweieinhalb Jahre beim Stamm der Yequana-Indianer und ist überrascht und fasziniert vom harmonischen Zusammenleben dieser Menschen, vor allem auch von der weisen Art der Kindererziehung – viel eher sollte es heißen: Von der Art, die Kinder groß werden zu lassen.

 

Hören. Lesen. Schreiben. 12 Wenn beim Schreiben

die Worte im Weg sind und das Handwerk sich verweigert vor den Fragen:
Veränderungen dezent anbahnen ohne zu deutliche Worte, nur in Symptomen und Zeichen, wie kann das funktionieren?
Eine Liebe beginnt zu keimen. Man soll sie nicht zerreden, nicht zerschreiben. – Ein Verdacht schwebt im Raum. Warum? Noch kann es sich niemand unter den Protagonisten erklären. – Tod, Schicksal-überhaupt dräut, aber es wäre viel zu früh, die Betroffenen zu warnen, nicht einmal die scheinbar unbeteiligte Autorin darf das wagen.
Wie anders, subtiler läuft es beim Komponieren!
Eine andere Tonart, ein Rhythmuswechsel, Lautstärke-rauf oder hinunter, eine Phrase, die alles Vorangegangene abschließt und Tore zu Neuem öffnet. Oder: Pause.
Ist es möglich, die Tricks und Stilmittel der Musik auf die Ebene der Sprache zu verpflanzen?