Lesen. Hören. Schreiben. 32 OstWest, Wort und Atmo

Ich lese nicht mehr viel. Nicht gern, nicht täglich. (Habe ich das weiter unten schon erwähnt?) Es hat mit dem Alter zu tun: Etwas Ähnliches hab ich doch schon mal gelesen, das sind meine stillen, begleitenden Kommentare. Wenig Überraschendes. Und die Form, die alles zusammenhält, die doch immer wieder vorlaut rufen soll hier, diese originelle Formulierung, der gewisse Glanz, braucht er nicht dringend deine Anerkennung?– Um die Form also geht es hier. Genauer: Um Form 1, Form 2. Um Stil.

Immer wieder lese ich die Russen. Um im Alten, fast Vergessenen, noch einmal zu versinken, oder um neue Schätze aus dem Osten heranzuschaffen, zu genießen, und – warum wird mir dabei so warm, obwohl Lesen körperlich überhaupt nicht anstrengend ist? Weil aus Personen der Literatur Menschen werden, die lieben, fluchen, saufen, stinken, nach Hohem streben oder ein Leben leben wie im Alptraum?
Die ersten Zeilen lassen sich gerade noch lesen, doch unmittelbar darauf stolpert man – noch nicht in die Geschichte – in ein gewaltiges Problem. In ein alltägliches Problem oder in eines, das an die Gipfel der Philosophie rührt, und aus den Problemen ergeben sich die Konflikte, die bewältigt oder mit List umgangen werden. Sie breiten sich aus im Hin und Her der Dialoge, die in Wohnküchen geführt werden oder in den Salons der Petersburger Gesellschaft, oder an Orten, die nach Stör und Kohlsuppe riechen.
Immer geht es ums Ganze. Das macht, dass viel geweint wird, und jedes mal trifft es einen ins Herz.
Mehr, noch mehr davon, möchte ich rufen, nur hört mich keiner der Dichter, die ich so lobe. Euch haben, während ihr am Pult Satz an Sätze gefügt habt, Engel auf die Stirn geküsst, oder wie sonst konnte es geschehen, dass keines eurer Kindermädchen dem anderen gleicht, jeder Gerichtsdiener unverwechselbar nur unter seinem Charakter leidet?
Sind es die Farben? Die Kulissen der Natur? Die Art und Weise der direkten Rede?
Genau. Alles ist direkt, unverblümt und von ungebändigter Kraft.

Wenn mir US-amerikanische Prosa in die Hände fällt, fliegen die Buchstaben, wächst die Story, reift der Plot, und alles läuft geschmiert dahin, wohl geschult durch creative writing schools, und ich bleibe kühl und vor die Tür verbannt. Wo ist die Neugier geblieben? Das Mitfiebern, Hoffen auf Lösung, Erlösung?
Im Osten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lesen. Hören. Schreiben. 31 Viertelpause

Ich schreib grad einen Text mit Musik- in-einer-der-Hauptrollen. Es wird gesungen, gedichtet, komponiert, improvisiert und auf Instrumenten gespielt, nahezu professionell.
Wie kann Musik aus stummen Worten aufsteigen und das Ohr des Lesers erreichen?
CD beilegen?
Hörbuch mit-planen?
Auf bekannte, ähnliche Musik hinweisen?
Verzagen und verstummen? – Sicher nicht.
Noch mehr Fragen:
Was kann Sprache?
(sprechen. Ja, eh.)
o Mit ihrem Rhythmus reinfahren, der Äktschn, der Ruhe, dem Auf und Ab gerecht werden. Das alles spüren lassen.
o Satzmelodie: Ein ärmliches Hilfsmittel. Trotzdem notwendig.
o Klangfarben einarbeiten, die malen können.
o Hier fehlt was. Ein Werkzeug ohne Namen, ohne Arbeitstitel. Hab noch nicht herausgefunden, was.

Wenn das alles so nicht funktioniert, bleibt Musik-im-Text nichts als Behauptung.

Lesen. Hören. Schreiben. 30 Motivationsmotivation

Motivationsmotivation

Ich schreibe einen Roman. Gut.
Nicht gut: Gibt es einen Grund, ihn auch zu lesen?
Ich meine, dass fremde Menschen später, im Ernstfall, das möglichweise entstandene Buch wirklich lesen wollen?

Weil,
o) es hat mit dem Alltag, mit den Problemen der Leute nicht viel zu tun.
o) Der Plot ufert aus
o) und mäandert vor sich hin.
o) Für das, was ich ausdrücken will, finde ich hier und dort nicht die richtigen Worte.
o) Und überhaupt, Schreiben frisst ungeheuer viel Zeit. Die mensch auch mit Internetsurfen, Tagträumen und Unterzündholz-Suchen-im-Wald verbringen könnte.

Andererseits:

o) Auch Agententhriller oder die romanhafte Ausschmückung einer Siedler-Saga aus Siebenbürgen haben mit dem Leben im Hier und Jetzt nicht viel zu tun.
o) Ausufern ist wertfrei zu lesen. Möglich, dass dort Sumpfdotterblumen wachsen – oder Krokodile.
o) Mäandern: Werden nicht in Flusskurven Sand und Geröll aufgeschüttet /abgetragen? So soll in Romanmäandern Neues spontan entstehen, Überflüssiges fortgeschwemmt werden.
o) Richtige Worte, die im Romantext fehlen, weil es sie nicht gibt, bilden sich bitte! Im Kopf der Leser, wenn auch Rhythmus, Klangfarben, Satzmelodie und ein unhörbarer
Grundton in Dur oder moll ein Dings erzeugen: Das Wort-lose Pendant eines noch nicht erfundenen Wortes.
o) Schreiben frisst ungeheuer viel Zeit, die sonst vielleicht für Werkzeugpolieren (wird eh wieder dreckig) verschwendet würde, für nie umgesetzte Urlaubspläne, oder fürs schnell-mal-im-www-Nachsehen, ob die Welt noch steht.

Und diese wunderbaren Überraschungen!
Die ich als Leserin so schätze!
Die, wenn eine von ihnen mir überraschend auf den Schreibtisch springt und mit viel Getue und Eigenlob ins Manuskript entführt und an eine dieser Passagen namens total unerwartet platziert wird, mir vorfreudiges Gekicher entlockt,
allein für diese Geschenke-unterwegs lohnt es sich, weiterzumachen.

Lesen. Hören. Schreiben. 29 Nach der Oper,

nach dem Applaus, dem Staunen, der Bewunderung allen gegenüber, die gleichzeitig glaubwürdig darstellen und singen können, und auch noch kämpfen, lieben, Intrigen spinnen, küssen und sterben können, während sie richtig singen –
wenn all das verebbt, hängen vorm Opernhaus die Ohrwürmer in der Luft – nein, sie hängen nicht, sie kriechen nicht, sie fliegen mit, setzen sich sanft in den Köpfen fest und bescheren noch stundenlang Freude und Nachhall. (Und ev. situationsunangepasstes Mitsummen in der U-Bahn)

Ich möchte so gern ein Libretto schreiben.
Große Szenen, großes Drama – Erregen von Mitleid und Furcht – Zeilen und Verse mit Emotion für die Arien – Einklang oder Missklang für Duette – Ensembleszenen mit Charakter für jeden Mitstreiter – Texte für Chor-als Mitspieler und Chor-als Kommentator .
Thema des Oevres? – Liebe. Und Tod. Und alles, was sich dazwischen abspielt mit gewaltigem Ernst. Und ein Finale, das einem Tränen in die Augen treibt aus Ergriffenheit durch Katharsis.

Das alles wäre nur ein Teil der Arbeit.
Wer übernimmt die Komposition?
Wo ist die Person, die die einzig richtige passende Tonsprache findet? Töne und Tunes, die beim Publikum reinfahren, dass es groovt und swingt oder triste über kahle Bühnenhügel weht, wer erfindet sie, wer verschenkt am Ende ein paar Ohrwürmer, die sich jeder mit nach Hause nehmen darf?

Das geht heute nicht mehr?
Man kann doch nicht-,
man darf nicht so wie früher-?
Kunst muss weh tun. Vor allem den Ohren.
Wer behauptet das?
Wer spielt mit, und warum?

Ich möchte so gern ein Musicallibretto schreiben…

Lesen. Hören. Schreiben. 28 Legales Stehlen von Worten?

Lesen ist Risiko. Es kann zu Enttäuschung führen.
Kostet Geld.
Lebenszeit wird verbraucht,
auch der Platz im Bücherregal.
Bleibende Eindrücke verblassen.

Verführerisch sind die Möglichkeiten im www, erst mal die Leseproben anzuklicken:
Hineinschnuppern ins Buch. HineinKämpfen oder HineinGezogenWerden. Das nächste Buchschnipsel, das übernächste-
Ein schnelles Urteil fällen: Gefällt? /-nicht?

Es wurde zur Gewohnheit:
Hineinlesen, nur so. Will gar nicht kaufen.
Lesen mit ungewissem Genuss, dafür Apfel  und Schokolade dazu. Pause. To-do-Liste weit weg.

Damit soll nun Schluss sein.
Zurück zum Wagnis:
Eine Buchhandlung betreten.
Suchen.
Finden, vielleicht.
Vom Cover angeturnt sein.
Cooler Blurb zum Einstieg.
Oder nicht. Alles völlig daneben, überhaupt nicht mein Geschmack.
Oder doch. Mit Spürsinn dem Zufall folgen,
Buch in der Hand halten, blättern, lesen,
endlos. Und wenn es tatsächlich zu Ende ist, so aufbewahren, dass es leuchtet, wenn der Zeitpunkt des Wiederentdeckens gekommen ist.