Aufbruch 2
Am nächsten Tag aber, losziehen ohne Aufenthalt! Nur am Rande wahrnehmen, dass hier und dort zwischen den Zweigen der Forsythien ein paar Dreiklänge und Triolen hingen, dass der Bach unter der Brücke melodisch gluckste – ein Wunderbares aber, das mir erfrischend gute Laune machte: Menschen, die mir begegneten, trugen ein Lächeln im Gesicht?! Nein, nicht aufgemalt. Von innen her herzlich, sodass ich es freigiebig erwidern musste und dennoch selbst reich beschenkt weiterging…und – wirklich nur ein belangloser Umweg zum Busbahnhof – auf Seltsames stieß, das sich zwischen Stein und Beton und Dächern als der funkelnde Nachhall einer musikalischen Performance, einer Euphorie mit sich konglomerierenden Teilchen beschreiben ließ. Sie besaßen kaum so viel Substanz wie der Rest einer Regenpfütze mit dem Spiegelbild der Sonne und fuhren mir dennoch unter Haut und Haar und Frühjahrsmantel.
An zwei weiteren Orten in der Stadt ging es mir nicht anders, und bald gehorchten meine Schritte einer unhörbaren Weise: von innen? Von außen dirigiert?
Und dann führte mich der Sound aus Volksfest, Dancefloor, Lachen und Konzertsaal zum Garten neben der Stadtmauer, nicht weit vom alten Marktplatz entfernt.
Meister senkte eben die Violine und sah ein bissl gerührt auf die Leute herab, die langsam zum Stillstand kamen. Sie lösten ihre Hände voneinander, kicherten verlegen und deuteten in hilflosen Gesten nein, so können wir’s nicht, nicht Eure schrägen alten Tänze!
„Es war doch bloß ein harmlos Menuett“, kam es vom Meister zurück. (Heute trug er ein Wams in Dunkelblau) Amüsiert griff er von neuem zu Bogen und Instrument und begann mit dem Streichquartett in D-Dur…so vielstimmig und voll, dass man meinte, Viola, Violoncello und die zweite Geige mitzuhören. Muss ich beschreiben, wie sich Abheben und Schweben wiederholten? Muss ein echtes Glück sein, den Boden unter den Füßen zu verlieren…
Nur wenige andere und ich, wir blieben der Erde verbunden.
Und mitten hinein in eine leise Passage rief ich dem Meister zu: „Wer seid Ihr? Sagt schon, woher kommt Ihr?“
Er antwortete mit einem improvisierten Furioso, das sich in einem blau (?) getönten Sternenregen aus Achtelnoten vor mir ausbreitete.
Noch eine Frage: „Warum seid Ihr zu uns gekommen?“
Die Antwort klang laut und klar: „Weil ihr mich gerufen habt!“
So vor mich hin dachte ich: Wie kann das sein? Eine Stadt, mit allen ihren 25 000 Bürgern ruft?“
Unmittelbar darauf erhielt ich die Nachricht, doch ohne eine Lippenbewegung des Meisters und ohne mein Ohr zu streifen: Drahtlos vernahm ich: Weil Ihr Geschichte erleben musstet, die hart und voll schwerem Schicksal war. Gemeinsam habt ihr alles überwunden. Gemeinsam ist Euch die Sehnsucht nach Schönheit und Harmonie.
Das gibt es nicht, das kann nicht sein.
Doch. Es ist die Wahrheit.
Ich könnte sagen gut, mich ins Treiben gleiten lassen und viele Glücksmomente ernten.
So wie ein Sommerregen sich selbst in seiner Wohltat feiert, zugleich aber auch segnet und wirkt.
Ich kann es nicht. Fühle mich doch wie eine Gewitterzelle, die sich elektrisch auflädt und blitzt und, mit ihrem schweren Donner vergehend, sich selbst behaupten möchte!